Das Schulskelett erzählt
Ich bin Erwin, das Schulskelett. Mein Zuhause ist ein Glasschrank im dritten Stock des St.-Anna-Gymnasiums. Ich liebe es hier, denn alles ist so groß. Jede Nacht erwache ich zum Leben. Dann erkunde ich das Schulhaus.
Eines Nachts passierte etwas Ungewöhnliches. Ich ging durch den ersten Stock. Heute wollte ich das Lehrerzimmer besuchen. Als ich es betrat, bemerkte ich noch nichts. Neugierig durchsuchte ich die Tische und Schubladen. Plötzlich entdeckte ich sie. Sie war so schön wie eine aufgegangene Rose. Sie hatte das strahlendste Lächeln der Welt und so weiße Zähne, auch kein Gramm Fett auf den Hüften. Obwohl sie nur ein Bild war, ich verliebte mich sofort. Es war Liebe auf den ersten Blick und ich nahm sie mit. Fröhlich sprang ich mit ihr durchs Schulhaus zu meinem Schrank.
Am Tag darauf rannte die Klasse 5c an mir vorbei. Sie riefen: »Juhu! Das Ex ist ausgefallen!« Es waren die Schüler und Schülerinnen von Frau Haupt. Frau Haupt durchsuchte zwischenzeitlich verzweifelt das ganze Lehrerzimmer. Sie schaute unter jeden Stuhl, in jedes Regal, in jede Schublade. Dann ging die Suche im Biologiesaal weiter. Selbst den Hausmeister fragte sie.
Es gongte und Frau Haupt rannte wieder in den Unterricht. Zufällig kam sie an mir vorbei. Sie sah mich an und rief: »Da ist es ja, das Extemporale! Wer hat sich denn den Scherz erlaubt?« Frau Haupt riss mir das Blatt mit dem kleinen Skelett, das zu beschriften war, aus den Händen und warf es in den Mülleimer.
Etwas später kamen zwei Jungen. Sie bastelten einen Papierflieger aus der Liebe meines Lebens. Doch bei einem Wurf flog der Flieger zu mir in meinen Schrank.
Endlich hatte ich sie wieder. Nun lasse ich sie nie mehr los, mein schönes Skelett auf der Stegreifaufgabe.
Viktor Höricht