Wie man einen Lehrer rumkriegt
Sehr geehrter Herr Seuffer,
hiermit möchten wir Schülerinnen Ihrer Lateingruppe (Klasse 7) uns gegen Ihre Praxis aussprechen, häufig am Freitag in der 6. Stunde Extemporalia schreiben zu lassen. Zwar sind auch wir der Ansicht, dass Kleine Leistungsnachweise ein wichtiger und nützlicher Beitrag zur Leistungserhebung und zur Erzeugung der Endnote sind, doch halten wir sowohl den Zeitpunkt, an dem Sie die Extemporalia schreiben lassen, als auch die Häufigkeit dieser Form der Leistungserhebung für ungünstig bzw. nicht zweckmäßig.
Exzellent komponierte Einleitung, in der der Sachverhalt und die eigene Position/These präzise deutlich gemacht werden.
Es ist allgemein bekannt, dass ein ungünstiger Prüfungszeitpunkt sich sehr nachteilig auf das Ergebnis auswirken kann. So können sich Schüler zum Beispiel in der Früh besser konzentrieren als am Nachmittag; deshalb werden Schulaufgaben oft möglichst in die ersten beiden Schulstunden gelegt. Bei Stegreifaufgaben wird darauf leider weniger geachtet. So schrieb zum Beispiel ein kahlköpfiger Lateinlehrer am St.-Anna-Gymnasium ein Extemporale am Freitag in der 6. Stunde, obwohl er dafür auch die ihm zur Verfügung stehenden ersten beiden Stunden am Montagmorgen hätte verwenden können.
Erstes Argument: klar formuliert und mit Erläuterung plus Beispiel anschaulich gemacht!
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die betrübliche Tatsache, dass das Fach Latein, auch aufgrund pädagogisch ungeschickter Vorgehensweisen, für viele Schüler immer mehr zu einer gefährlichen Schleuderfahrt und so leider auch zu einem besonders unbeliebten Fach wird. So zeigt zum Beispiel eine Studie der Diplompsychologin Gundula G., dass die meisten Lateinschüler sich bereits in der 8. Klasse dazu entschließen, das Fach so früh wie möglich wieder abzuwählen. Wir schreiben in Latein sooo viele Exen, erzählt der 12jährige Nicki Noname, der für diese Studie interviewt wurde. Und unterhalten kann man sich auf Latein ja eh' nicht. Natürlich kann man dann andere Sprachen mit Hilfe von Latein schneller lernen, aber dazu muss ich erst mal Latein überstehen und Zeit für andere Sprachen hab ich wegen der vielen Lateinexen sowieso nicht. Das Fach benötigt also dringend eine ganz voluminöse Motivationsspritze. Der Druck muss unbedingt gedrosselt werden.
Zweites Argument: brilliant eingefädelt, indem
die Lateinlehrer an ihren wunden Punkt geführt werden, die angebliche
Unbeliebtheit des Fachs! Das Zitat aus der erwähnten Studie entfaltet
eine enorme manipulative Kraft.
Einziger Kritikpunkt: Der Sprachstil
wirkt in diesem Abschnitt recht polemisch (versus: sachlich)!
Schließlich, und das ist der wichtigste Punkt, läuft zur Zeit am Donnerstagabend eine pädagogisch sehr wertvolle Sendung auf Pro 7, die alle Mädchen (und zum Teil auch Jungs) gewöhnlich bis spät am Abend mit großer Spannung und großem Interesse verfolgen. Die Diplompsychologin Gundula G. hat sich in der oben bereits erwähnten Studie mit dem Phänomen "Germany's Next Topmodel" ausführlich auseinander gesetzt. So soll die Sendung exakt die Träume und Wünsche der Mädchen widerspiegeln, ihnen dadurch einen für ihren Reifungsprozess wichtigen Einblick in ihre eigene Psyche gewähren, ihnen als Vorbild für einen guten Umgang der Menschen untereinander ein gesundes Sozial- und Zusammengehörigkeitsgefühl geben und sie lehren, wie man mit Kritik umgehen (lernen) kann. Und eben dieses so wichtige Lernfeld für die Schülerinnen wird durch häufige Lateinexen am Freitag zerstört werden, da es vielen Schülerinnen nicht mehr erlaubt sein wird, die Sendung zu sehen.
Drittes Argument, und das wichtigste, das hier, wie es vorgeschrieben ist, am Ende des Hauptteils steht. Sehr klug: Die entwicklungs-psychologische Karte wird ausgespielt, für die unsere Gesellschaft besonders empfänglich ist. Kompliment!
Wir sind der festen Überzeugung, dass Sie nach all diesen schlagenden Argumenten von Ihrem Vorhaben, am Freitag in der 6. Stunde ein Extemporale schreiben zu lassen, absehen werden. Wir jedenfalls fordern auf der Grundlage unserer hinreichenden Beweisführung: LASSEN SIE DAS EXTHEATER!!! WIR LERNEN AUCH SO!!!
Geforderter Schlussteil in gewünschter Kürze, auch wenn das Ganze weniger an eine begründete Stellungnahme, sondern mehr an das kommunistische Manifest erinnert.
Mit freundlichen und hoffnungsvollen Grüßen
die SAGLateinklasse der Mädchen Ihrer 7. Klasse
Amelie Berboth