Zwangsstörung
(Zwangsstörungen — Vergleich der verhaltenstherapeutischen & psychopharmakologischen Therapieformen)
Die Zwangsstörung allgemein
Die meisten Menschen gewöhnen sich im Verlauf ihres Lebens gewisse Rituale an. Sei es nun, dass sie zuerst den linken Socken anziehen oder, dass sie zuerst Milch und dann Müsli in die Schüssel geben. Wenn sie von diesen Vorgängen abweichen stört sie das vielleicht, sie gehen aber schnell wieder zu wichtigeren Dingen über. Das ist in dieser Form auch absolut unbedenklich. Anders jedoch bei Menschen mit Zwangsstörung. Vorgänge wie übermäßig wiederholtes Händewaschen oder das mehrfache Kontrollieren des Herds erzeugen mit der Zeit immer größer werdende Probleme.
Zwänge bestehen grundsätzlich aus zwei Elementen, dem Zwangsgedanken (engl.: obsession) und der daraus folgenden Zwangshandlung (engl.: compulsion) und werden daher im englischen auch passend als »obesessive-compulsive disorder« — kurz OCD — bezeichnet.
Nach dem ICD10 sind die Gedanken dabei wiederkehrende Impulse und Ideen mit abstoßenden Inhalten, die man willentlich nicht unterdrücken kann. Durch die mit Verlust und Leid verbundenen Vorstellungen baut sich, da sie als zur eigenen Person gehörend empfunden werden, eine enorme innere Angst auf. Aufgrund dieser Ängste gehen Zwänge oftmals mit Depressionen, Phobien und Süchten einher. Die Patienten versuchen nach einer gewissen Zeit die zu Beginn auftretenden Gedanken und die daraus resultierende Anspannung zu neutralisieren. Sie reagieren also mit Handlungen oder Vermeidungsverhalten, um diese, meist sehr unwahrscheinlichen Vorstellungen und Szenarien zu verhindern. Der Sinnlosigkeit ihres Verhaltens sind sie sich dabei stets bewusst, können aber weder Gedanken noch Handlungen unterdrücken, ohne extreme Angstzustände zu durchlaufen. Der Krankheitsverlauf ist hierbei in der Regel chronisch, d.h. zu einem anfänglichen Zwang kommen mit der Zeit immer mehr hinzu, sodass die Störung ab einem gewissen Zeitpunkt einen immensen Leidensdruck mit sich bringt und zu starken Einschränkungen im Sozialleben führt. Beschließt der Betroffene also, mehr oder weniger dazu gezwungen, etwas dagegen zu unternehmen gibt es aktuell verschiedenste Ansätze zur Behandlung.
Heute nur noch selten werden Elektroschock-Therapien und chirurgische Eingriffe durchgeführt, wobei letztere durchaus erfolgreich sein können, die Wirkung ersterer hingegen umstritten ist. Auch die analytische Psychotherapie wurde mit der Zeit von der kognitiven Verhaltenstherapie abgelöst, die heute, zusammen mit der psychopharmakologischen Behandlung, als eine der vielversprechendsten Optionen gilt. Dabei finde ich es vor allem interessant, dass trotz der extremen Unterschiede zwischen diesen zwei letztgenannten, aktuellen Verfahren, beide als sehr effektiv gelten.
Vergleich der Haupttherapieformen
Die Verhaltenstherapie kennt verschiedene Methoden, unter denen insbesondere die s.g. ERP Therapie (exposure and response prevention) bemerkenswerte Erfolge verzeichnet. Die Grundidee ist dabei, dass die Patienten aktiv, anfangs unter psychotherapeutischer Aufsicht, mit ihren Zwängen konfrontiert werden. Dabei gilt es bei Wiederholungszwängen die innere Anspannung auszuhalten, die entsprechende Handlung also zu vermeiden und nicht zu neutralisieren. Umgekehrt gilt das auch bei Vermeidungszwängen, bei denen das gefürchtete Szenario direkt angestrebt wird. Der Sinn dieser Aktionen ist dabei die Konditionierung, also das Lernen aus der Erfahrung, indem man feststellt, dass das Befürchtete nicht eintritt.
Deutlich direkter wirkt hingegen der Effekt der Behandlung durch bestimmte Medikamente, in der Regel s.g. SSRI (selective serotonin reuptake inhibitor). Vor eingen Jahren wurde fest gestellt, dass überraschender Weise bestimmte Mittel gegen Depressionen, die den typisch niedrigen Serotoninspiegel im Gehirn erhöhen sollen, ebenfalls positive Auswirkungen auf Zwangspatienten haben. Durch dieses Phänomen schloss man schließlich auch auf eine der aktuellen Haupttheorien für die Ursache von Zwangsstörungen, ein unausgeglichenes Neurotransmitterverhältnis in bestimmten neuronalen Bereichen.
Spätere Forschungen bestätigten diese Feststellung. Im Verlauf einer Blindstudie wurden zwei Testgruppen gebildet, die beide durch Verhaltenstherapie und SSRI, genauer gesagt Fluvoxamin, behandelt wurden, wobei eine der Gruppen mit zwangserkrankten Probanden Placebos erhielt. Durch das Ergebnis, welches bei beiden Gruppen einen Rückgang der Zwangshandlungen ausmachte, konnte zusätzlich die spezifischere Wirkung der Medikationen ausgemacht werden, da lediglich die mit den echten Wirkstoffen versorgten Patienten auch eine Besserung der Zwangsgedanken erfuhren (»Combination of behaviour therapy with fluvoxamine in comparison with behaviour therapy and placebo. Results of a multicentre study.«, Department of Psychiatry and Psychotherapy, Universität Freiburg, Deutschland, 1998).
Leon Mühlsteffen