Eule
Städt. St.-Anna-Gymnasium

Dissoziative Störungen

(Soziale Folgen dissoziativer Störungen)

Was versteht man unter Dissoziation?

Erwartungsgemäß ist der Begriff der Dissoziation nur gelegentlich Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs der Menschen. Selbstverständlich ist der Ausdruck wesentlich geringer verbreitet, als beispielsweise jener der Depression. Dennoch haben vermutlich die meisten Menschen bereits ein Auftreten einer dissoziativen Störung in Form eines Alltagphänomens wahrgenommen. Diese erscheinen beispielswiese als Verlust des Zeitgefühls während eines Films, eventuell auch als Schwund der Aufmerksamkeit während einer Vorlesung. Das Resultat ist eine unwesentliche Gedächtnislücke. Allerdings weisen Betroffene der dissoziativen Störung eine immense Beeinträchtigung des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Wahrnehmung, und zwangsläufig der Identität auf.

Das menschliche Gehirn verarbeitet bestimmte Signale, wie z.B. die fünf Sinne, eine Bewegung im Raum (Propriozeption) sowie die Kontrolle über die eigenen Körperteile (Kinästhesie). Es erfolgt eine Ordnung der Informationen in Raum und Zeit, welche folgend als Einheit im Gedächtnis gespeichert werden. Falls die Unfähigkeit besteht, zwei oder mehr dieser Inhalte miteinander zu verbinden, wird von Dissoziation gesprochen. Als Dissoziation werden neurologische Ausfälle beschrieben, dabei ist es dem Betroffenen nicht möglich Wahrnehmungs- bzw. Gedächtnisinhalte miteinander zu verbinden. Dies führt zu den oben bereits genannten Folgen. Daher erlangte die Störung ihren Namen, denn Dissoziation bedeutet wörtlich Trennung bzw. Zerfall.

Nach dem ICD-10 versteht man unter Dissoziation eine vielfältige Störung, welche einen teilweisen oder zwangsläufig vollständigen Verlust psychischer Funktionen wie eigenen Gefühlen, gegebenenfalls Empfindungen, Wahrnehmungen und der Kontrolle eigener Körperbewegungen hervorruft. Die Stärke der Beeinträchtigung dieser Fähigkeiten kann von Zeit zu Zeit variieren. Im bereits erwähnten medizinischen Diagnoseklassifikationssystem werden die dissoziativen Störungen in mehrere Arten unterteilt. Dissoziationen können in Form von Amnesien oder sogar als multiple Persönlichkeitsstörung auftreten, die jeweiligen Variationen der dissoziativen Störungen haben eine Vielfalt an sozialen Folgen als Konsequenz.

Auf die exakte Klassifikation wird binnen dieses Artikels noch genauer eingegangen werden. Aufgrund von außerordentlich ähnlichen Krankheitsbildern und Symptomen, können Dissoziationen leicht mit anderen psychischen Störungen verwechselt werden. Zunächst besteht die Notwendigkeit die dissoziative Störung von der Konversionsstörung zu differenzieren. Diese Unterscheidung soll im Laufe der Arbeit noch etwas ausführlicher dargestellt und gedeutet werden.

Im Voraus beziehe ich mich auf die Differenzialdiagnostik einer nicht näher bezeichneten dissoziativen Störung (engl: dissociative disorder not otherwise specified (DDNOS); codiert unter F44.9 im ICD-10) , einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS) und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Das folgende Diagramm stellt die Ergebnisse eines Ausschnitts der Studie von Suzette Boon und Nel Draijer aus dem Jahr 1993 dar. Nebenbei ist zur Abgrenzung von DDNOS und DIS hinzuzufügen, dass nahezu alle Studienteilnehmer(-innen), welche von einer DDNOS betroffen sind, im anschließenden Behandlungsverlauf vermehrt Zugang zu einem dissoziierten Persönlichkeitssystem erlangten und in einem nachfolgenden Untersuchungstermin die Diagnosekriterien für eine DIS vollständig erfüllten. Ein solcher Progress ist in der klinischen Praxis des Öfteren zu betrachten, oftmals verlaufen die Übergänge von einer Störungsform zur nächsten fließend.

Komorbiditäten

Anhand der dargestellten Resultate wird sichtbar, dass die Störungs- und Symptombilder jener psychischen Störungen gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Die hohe Prävalenz der Selbstverletzung und wiederholten Suizidversuche bei den Betroffenen belegen die enorme Gefährdung des sozialen Umfelds durch dissoziative Störungen.

Michael Ku